OMAS GEGEN RECHTS Berlin  /  Deutschland-Bündnis

Gedanken rund um den 27. Januar 1945 und 2021

Weltweit wird nicht nur an die Befreiung des KZ Auschwitz durch sowjetische Soldaten gedacht, sondern vor Allem an die Opfer der Shoah erinnert.

Wie viele von ihnen haben vor ihrer Deportation verzweifelt versucht aus Deutschland zu fliehen? Wie sehr haben sie auf Hilfe auf ihrem Fluchtweg gehofft, auf Menschen, die ihnen Unterschlupf gewährten, Nahrung und Kleidung gaben, sichere Wege durch die Berge und über die Grenzen zeigten? Was mussten sie durchleiden, wenn sich die Hoffnung auf Papiere, eine Schiffspassage, ein Einreisevisum, ein Affidavit wieder und wieder zerschlug?

Und haben die Staaten der Welt nicht oder erst viel zu spät erkannt, dass diese Menschen, die aus Deutschland fliehen „wollten“, tatsächlich in Lebensgefahr waren? Oder – schlimmer -, war es ihnen egal? Zählten Regeln, Vorschriften, wirtschaftliche Interessen mehr als Menschenleben?

Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ (Primo Levi) 

Wenn wir OMAs erinnern, dann immer auch mit dem Blick auf heute.

Kein Mensch flüchtet freiwillig. Wir können nur ahnen, aus welchen „Lebens“bedingungen die Menschen geflohen sind, die heute in den Flüchtlingslagern auf Lesbos, in Bosnien-Herzegowina oder in libyschen Camps vegetieren, ohne Perspektive, ohne dass sie irgendetwas für eine Verbesserung ihrer Lage tun können.

Wird von Seiten der EU womöglich beabsichtigt, dass die Bilder der hungrigen, frierenden Menschen im Schlamm vor zerstörten Plastikzelten auf andere so abschreckend wirken, dass diese dann doch die Flucht in eine ungewisse Zukunft nicht wagen?

Ich erwarte von den politischen Entscheidungsträgern, dass sich ihr Handeln nicht auf das Ablegen von Erinnerungs-Blumengestecken beschränkt. Sie müssen die Flüchtlinge 2021 in Europa aufnehmen. Aufnehmen, das heißt mehr als Registrieren und Verwalten, das heißt eine Perspektive für ein sicheres Leben in Freiheit geben.

Frieda

Zum Beispiel Ursel Blumenreich …

Mit 21 Jahren kam Ursel aus ihrer Geburtsstadt Stettin zum Studium nach Berlin – wenige Monate später wurde sie in Auschwitz ermordet, am 26.2.1943.

An die kleine Ruth-Reisel Herzberg kann sich meine Nachbarin noch erinnern, die beiden Mädchen haben öfters zusammen gespielt. Bis Ruth-Reisel im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern im August 1942 nach Riga deportiert wurde. Alle drei wurden dort umgebracht. Ruth-Reisels  Großväter, die beide mit der Familie zusammen gewohnt hatten, wurden erst Monate später nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert, wo auch sie sterben mussten. Kann man sich vorstellen, mit welchen Sorgen und Ängsten die beiden alten Männer an das Schicksal der jungen Familie gedacht haben, bis sie selbst abgeholt wurden?

Oder die Schwestern Frida und Margarethe Schubert, 1883 und 1894 geboren: Auf beiden Stolpersteinen steht das Datum 11.3.1943. Frida wurde an diesem Tag in Auschwitz ermordet, „Flucht in den Tod“ ist bei ihrer jüngeren Schwester vermerkt.

Beim Putzen der Stolpersteine gehen uns OMAS viele Gedanken durch den Kopf; schon die knappen Angaben auf den Steinen genügen um die Ungeheuerlichkeit zu verdeutlichen, die all diese Leben nicht zu Ende gelebt werden ließ.

Über 9000 Stolpersteine gibt es mittlerweile allein in Berlin. Möglichst viele nicht nur zum 9. November glänzend strahlen zu lassen, ist mehr als eine symbolische Geste. Es ist das Mindeste, was wir tun können, damit die Erinnerung an die Millionen Einzelschicksale weiter hell und klar bleibt, verbunden mit unserem Wunsch und Bekenntnis: „Nie wieder!“

Frieda

Flügel statt Flügel

Am Vormittag des 27. Oktober wählte die Brandenburger AfD-Landtagsfraktion einen neuen Fraktionsvorsitzenden als Nachfolger für den rechtsextremen Höcke-Freund Andreas Kalbitz.

Wenn auch der AfD-Flügel formal aufgelöst worden ist, sind die Flügel-Anhänger weiterhin aktiv. Immer wieder müssen wir ihre ungeheuerlichen Äußerungen lesen und hören, die sie in der Öffentlichkeit von sich geben. Gewählt wurde Hans Christoph Berndt, ein ausgewiesener Flügel-Anhänger, Vorsitzender eines neonazistischen „Heimatliebe“-Vereins und radikaler Corona-Verharmloser.

„Wir Brandenburger lieben den Flügel, aber nicht den AfD-Flügel, sondern den Konzertflügel!“

Deshalb organisierte das Aktionsbündnis für Toleranz und Weltoffenheit unter dem Motto „Flügel statt Flügel“ zeitgleich eine Veranstaltung auf dem Alten Markt direkt vor dem Landtag.

Zusammen mit den Potsdamer OMAS und ein paar hundert weiteren Teilnehmer*innen lauschten wir Berliner OMAS dem virtuosen Spiel mehrerer Künstler von Igor Levit bis Sebastian Krumbiegel.

Auch heute einte uns alle der Gedanke: „Wir sind mehr!“ oder wie eine Pianistin sagte: „Der Herbst ist nicht braun, der Herbst ist bunt!“

Ich wünsche uns viele solche motivierenden Gelegenheiten, unsere Haltung gemeinsam sichtbar zu machen.

Frieda

OMAS GEGEN RECHTS aus Berlin und Potsdam – Veranstaltung gegen die AFD in Potsdam

Und das hat niemand gesehen?

Seit dem 18. Oktober 1941 bis fast zum Kriegsende wurden immer wieder jüdische Erwachsene und
Kinder vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald aus in die Ghettos nach Lodz und Riga und in die
Vernichtungslager Auschwitz und Theresienstadt transportiert. Allein in den letzten Oktobertagen
1941 gingen vier Züge mit über 4000 Menschen ab! Zum Bahnhof wurden sie von den Sammelstellen
in der Levetzowstraße und vom jüdischen Altersheim in Mitte durch die Straßen Berlins getrieben.
Und das hat niemand gesehen?
Wir OMAS GEGEN RECHTS BERLIN sind die Kinder und Enkelinnen der Generation, die damals in
weiten Teilen weggeschaut und nichts gesagt hat. Aufgewachsen mit dem Schweigen der Eltern-
Generation empfinden wir die Verpflichtung an die Gräueltaten der Nazi-Zeit zu erinnern und uns heute
entschieden gegen jede Form des Antisemitismus einzusetzen.
An der diesjährigen Gedenkveranstaltung am Gleis 17 können coronabedingt nur wenige geladene
Gäste teilnehmen. Es gibt jedoch einen livestream am 18.10.2020 ab 12.00 Uhr unter

https:// www.orte-dererinnerung.de/veranstaltung/gedenken-gleis-17-2020/ oder

https://www.stiftung-denkmal.de/aktuelles/abgeholt-gedenken-an-den-beginn-der-
nationalsoziualistischen-deportationen-von-juden -aus-berlin-vor-79-jahren/

Frida

OMAS GEGEN RECHTS - Mahnwache

„Papa, was sind OMAS GEGEN RECHTS? – Das sind die guten Omas!“

Dieser kurze Dialog zwischen Tochter und Vater, aufgeschnappt am Rand unseres OMA-Kreises rund um die Weltzeituhr,  gehörte zu den vielen erfreulichen und erfreuenden Momenten bei unserer Juli-Mahnwache. Wir waren wieder zahlreich, („wie immer“, möchte ich sagen). Und wie immer war zu spüren, wie wichtig uns dieses Treffen zur Mahnwache ist, gleichermaßen wegen der Außenwirkung wie zum Wiedersehen und Sprechen mit vertrauten OMAS. Eine neue OMA erklärte mir, sie teile mit Begeisterung Flyer aus – und sie wurden ihr auch gern abgenommen. Der Alex war wieder gut besucht, fast wie in Vor-Corona-Zeiten, auch Touris waren wieder unterwegs, die uns OMAS als Hauptstadt-Attraktion fotografierten, den Daumen hochreckten … Die üblichen paar dummen Sprüche gabs natürlich auch, keine ernsthaften oder ernst zu nehmenden Aggressivitäten.

War nett jewesen. Wir sehen uns bei der nächsten Mahnwache am 7. August!

Frieda

Wir erinnern: Ravensbrück

Vor 75 Jahren wurde Ravensbrück, das größte Frauen-Konzentrationslager auf deutschem Boden, befreit. Zehntausende Frauen und Mädchen aus ganz Europa waren hier inhaftiert, viele Kinder wurden hier geboren.

Die, die hier ihr Leben verloren haben, gehörten zur Generation unserer Mütter, Großmütter und Geschwister. Das Leben wurde ihnen genommen durch unmenschliche Haftbedingungen, Hunger, Folter, medizinische Experimente. Sie wurden ermordet und verbrannt. Das elementarste Recht, das Recht auf Leben, Überleben, Weiterleben wurde ihnen verwehrt.

Wir Berliner OMAS GEGEN RECHTS halten die Erinnerung an die Frauen von Ravensbrück aufrecht. Die für das Wochenende vom 17. bis 19. April 2020 geplanten Gedenkveranstaltungen können wegen der Corona-Krise nicht stattfinden, wir OMAS können derzeit nicht nach Ravensbrück fahren. Umso mehr empfinden wir die Verpflichtung zum lebendigen, aktiven Gedenken über einzelne Tage hinaus. Darin fühlen wir uns verbunden mit allen, die sich wie wir dafür einsetzen, dass nichts in Vergessenheit gerät, was damals geschehen ist.

Wir OMAS GEGEN RECHTS hoffen sehr, dass wir unsere Aktivitäten bald wieder aufnehmen und nicht nur im virtuellen Raum sichtbar sein können.

Mord bleibt Mord – Gedenken an Hatun Sürücü

Vor 15 Jahren wurde Hatun Sürücü planmäßig von ihren Brüdern ermordet. Auf offener Straße gab ihr jüngster Bruder die tödlichen Schüsse auf sie ab – verabredungsgemäß der jüngste, weil ihm die geringste Strafe drohte. Hatun Sürücü musste sterben, weil sie frei und selbstbestimmt leben wollte. Sie hatte sich aus einer arrangierten Zwangsehe gelöst und stand kurz vor dem Abschluss einer Berufsausbildung, was ihr auch eine wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglicht hätte.

Aus Anlass ihres Todestages fand am 7. Februar 2020 am Gedenkstein in der Oberlandstraße eine Gedenkfeier statt, zu der u.a. Terre des Femmes (www.frauenrechte.de) eingeladen hatten. Neben der Bürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg und dem Bürgermeister von Neukölln nahmen zahlreiche Menschen mit und ohne Migrationshintergrund teil; als ermutigend empfand ich die Anwesenheit vieler türkischstämmiger Männer, die T-Shirts mit dem Aufdruck „Männer gegen Gewalt“ in vielen Sprachen trugen.

Noch immer müssen Frauen um ihr Leben fürchten, wenn sie sich aus den patriarchalen Strukturen ihrer Herkunftsfamilie lösen und selbst über ihr Leben bestimmen wollen. Unsere Solidarität ist nicht nur an Gedenktagen notwendig!

Frieda

Hatun Sürücü
Gedenken an Hatun Sürücü
Hatuns Sürükü - Rose
OMAS gedenken Hatun Sürükü

 

Resignation – nein danke!

Ihr kennt das: Wenn wir bei der Mahnwache, bei Demonstrationen, bei der Teilnahme an Gedenkfeiern oder beim Stolpersteinputzen positive Reaktionen erleben, ein „Toll, dass Ihr euch so engagiert!“ hören, wenn unsere Flyer und Buttons gern entgegengenommen werden – dann spüren wir nicht nur, dass wir für die richtigen Dinge eintreten, sondern wir fühlen uns ermutigt und bestärkt auf unserem Weg.

Andererseits: Müssten wir nicht viel mehr aktive OMAS sein? Wie oft erzählen wir im Kreis der Freundinnen, im Sprachkurs, beim Sport oder wo auch immer von unserem Engagement als OMAS GEGEN RECHTS – und wie selten folgt dem interessierten Zuhören der Schritt sich den OGR aktiv anzuschließen?

Die Wichtigkeit unseres Einsatzes gegen rechts steht außer Frage. Gerade hat mich die Nachricht vom Wahlergebnis in Thüringen geschockt, wo zum ersten Mal ein Ministerpräsident mit AfD-Stimmen gewählt worden ist. Es ist zum Verzweifeln! Nein, wir müssen: „Jetzt erst recht!“ sagen und zuversichtlich bleiben, dass sich unser Kampf für den Erhalt und die Verbesserung sozialer und politischer Standards lohnt, dass es für unsere Kinder und Enkel eine lebenswerte Zukunft gibt, dass der point of no return noch nicht überschritten ist!

Die evangelische Kirche hat ihre diesjährige Fastenaktion „7 Wochen ohne“ unter das Motto „Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus!“ gestellt. Es ist eine Einladung diesen Gedanken in unserem Alltag wirken zu lassen. Ergänzend gibt es die Initiative Klimafasten. Resignation schwächt uns.  Als OMAS müssen wir darauf achten, alles zu vermeiden, was unsere Kräfte mindert. Wir sollten uns gegenseitig ermutigen und stärken! Lasst uns unsere Zukunftsängste überwinden, ebenso aufmerksam wie zuversichtlich vorwärts gehen!

Wir sind nicht allein und wir wollen sichtbar immer mehr werden!

Vielfältiges Gedenken über den Holocaust-Gedenktag hinaus

Am 27. Januar haben wir OMAS uns in mehreren Gruppen an zahlreichen Gedenkveranstaltungen beteiligt, die aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung des KZ Auschwitz stattfanden, so am T4-Denkmal für die Euthanasie-Opfer, am Denkmal für die ermordeten Homosexuellen und am Denkmal für die Sinti-und-Roma-Opfer des Nationalsozialismus.

Abends trafen wir uns bei der Lichterkette vor dem ehemaligen jüdischen Waisenhaus in Pankow. Dieses Jahr war die Teilnehmerzahl so groß, dass die Polizei nicht umhin konnte auch die Fahrbahn für den Lichterzug frei zu geben und ihn nicht auf den Gehweg zu beschränken! Beendet wurde diese eindrucksvolle Veranstaltung in der alten Pfarrkirche Pankow.

Am bewegendsten für mich war die Teilnahme an der Aktion Erinnerungsort Altglienicke (www.erinnerungsort-altglienicke.de), über die ich schon informiert habe.

Am Eingang zum imposanten Ratssaal im Rathaus Köpenick bekam jede von uns einen Umschlag, der den Namen und die Lebensdaten eines der anonym bestatteten NS-Opfers enthielt, dazu einen Auszug aus der Gräberliste und Informationen zum KZ Sachsenhausen und der dortigen Gedenkstätte.

Ich las: „Jan Kęsikowski, 24.6.1907-14.6.1941“. Sofort fühlte ich mich unmittelbar bewegt und mit diesem Menschen verbunden, denn der 24.6. ist für meine Familie und mich ein besonderer, glücklicher Tag. Jan Kęsikowski jedoch hat seinen 34. Geburtstag nicht mehr erlebt, er starb zehn Tage vorher im Krankenrevier des KZ Sachsenhausen. Wie viele Geburtstage er wohl unbeschwert und hoffnungsvoll ins neue Lebensjahr blickend verbringen konnte? Kalisch heißt sein Geburtsort. Ich finde die Kleinstadt Kalisz östlich von Posen, 400 km von Berlin entfernt. Wann und auf welchem Weg ist  Jan Kęsikowski  aus Polen nach Deutschland gekommen, wann ins KZ Sachsenhausen? „Arbeiter“ steht auf der Gräberliste: Zwangsarbeiter? So viele offene Fragen sind in meinen Gedanken.

Zunächst hieß es am Montag jedoch die erhaltenen Daten nach ganz genauen Vorgaben aufzuschreiben. Das erforderte etwas Übung und Konzentration, bis wir unsere beschriebenen Blätter abgeben konnten. Dabei kamen wir auch mit der Künstlerin Katharina Gruber und dem Initiator des Projekts, Klaus Leutner, ins Gespräch. Frau Gruber berichtete uns, dass am Vormittag mehrere Schulklassen sowie Gruppen von Bundeswehrsoldaten und Polizisten am Namenschreiben teilgenommen hatten.

Im April soll es eine zweite Schreibaktion geben – dann können sich hoffentlich weitere von uns OMAS beteiligen.

Bis zur Errichtung der Glaswand mit allen Namen auf dem Friedhof Altglienicke wird wohl noch einige Zeit vergehen; ich freue mich schon heute darauf, bei dieser Gelegenheit nicht nur mit OMAS, sondern womöglich auch mit Angehörigen der endlich nicht mehr Namenlosen zusammen zu treffen.