Kategorie: Gedenken
Erinnern heißt auch, Verantwortung zu übernehmen
Heute vor einem Jahr starb Esther Bejarano. Auf ihrem letzten Geburtstag hatte sie noch viele Stunden getanzt. Sie war bis zuletzt eine laute Mahnerin und wurde niemals müde, zu erinnern. “Ich singe, bis es keine Nazis mehr gibt!” – das kann sie nun nicht mehr. Die Nazis sind noch da. Wir aber auch. Und deshalb, lasst uns Esther ehren, indem wir in ihrem Sinne handeln.
Immer wieder.
„Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ (Esther Bejarano)
Die Bilder entstanden im letzten Jahr anlässlich des Gedenkens an Esther Bejarano in Berlin.
Wir sind es den Ermordeten schuldig!
Ja, wir waren da und unsere Bündnispartner*innen ebenfalls. Vor dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas verhinderten wir dessen Missbrauch durch die Querdenken-Bewegung. Keine und keiner der deutschlandweit Mobilisierten und teils in gefährliche Verschwörungsmythen Verstrickten, deren Demonstrationen verboten worden waren, konnte das Mahnmal als Kulisse für Livestreams demokratiefeindlicher Auftritte nutzen.
Erinnern heißt kämpfen! Brief an Esther Bejarano
Liebe Esther,
gerade komme ich von einer Gedenkkundgebung für Dich. Wir haben uns nie persönlich kennengelernt, aber ich habe Dich immer gern gehört und sehr bewundert.
Wir trafen uns heute an der Stelle, von der aus Du 1943 nach Auschwitz deportiert wurdest und die jetzt ein Platz des Gedenkens ist.
Heute warst Du mitten unter uns, und junge und alte Antifaschist*innen standen zusammen! Wir hatten Mühe, den Abstand zu halten, weil wir so viele waren.
Es ist noch nicht so lange her, da hast Du mir mit Deinen Worten richtig gutgetan, weil ich unsicher geworden war, ob es richtig ist, gegen „faschistische Strukturen in der Polizei“ und für „Entnazifizierung“ zu demonstrieren. Einige von uns OMAS GEGEN RECHTS fanden diese Demonstration zu „militant“, und das hatte mich verunsichert. Aber der NSU, das waren nicht nur drei Verbrecher, die ungeklärten Verbrechen in Neukölln und die rechtsradikalen Chatgruppen in der Polizei, von denen wir wissen und und und… Und deshalb sind wir dann doch zu dieser Demonstration gegangen – nicht alle, aber einige, und das war gut so. Als ich dann Deine Grußworte aus dem Lautsprecher hörte und die vielen Antifaschist*innen erlebte und die Reden hörte, da war ich wieder einmal froh, nicht zu Hause geblieben zu sein.
Schön, dass Du mit einigen OMAS GEGEN RECHTS einen Nachmittag verbrachtest, und eine Ehren-OMA GEGEN RECHTS wurdest.
Ich habe heute einiges Neues über Dich erfahren, zum Beispiel, dass die Hamburger Polizei einen Wasserwerfer auf einen Wagen richtete, auf dem Du standest und dass Du auf Deinem 95. Geburtstag stundenlang aufmerksam warst und dann noch getanzt hast. Ich habe Dich singen gehört – mit Deiner wunderbaren Sopranstimme. Liebe Esther, Du hättest die Reden heute hören sollen, die waren voller Menschenliebe und hätten Dich gefreut.
Wir hörten die Gedichte von TINTENWOLF und erinnerten uns dabei vieler, die umgebracht wurden. Wir hörten YOK mit seinem Akkordeon und als der Verstärker nicht mehr wollte, war das kein Problem, weil alle ganz still waren und wir ihn trotzdem hören konnten.
Liebe Esther, was die Jungen von der ANTIFA heute für Dich und uns auf die Beine gestellt haben, das zeigt, dass Du tief in ihnen verwurzelt bist.
Alle zusammen gegen den Faschismus, immer und überall – das ist Dein Vermächtnis und eine Handlungsanleitung.
Du bist nicht tot, Du lebst jetzt nur anders – in uns allen!
Und so sei gegrüßt
Hanna
20. Juli 2021 in Berlin – Gedenken und notwendige Aktion – Schutz des Mahnmals als Ort der Erinnerung
Heute haben wir OMAS im PLENUM zusammengesessen und sehr viel diskutiert und organisiert – alle Entscheidungen sind im Konsens getroffen worden.
Wir haben auch besprochen, dass eine von uns für den 20.7.2021 eine Kundgebung zum Schutz des Mahnmals der ermordeten Juden anmelden wird, denn es ist unerträglich, dass Rechtsextremist*innen und Coronaleugner*innen diesen Tag nutzen wollen, um am Mahnmal ihr schmutziges Unwesen zu treiben. Einer von ihnen verbreitet im Internet die Lüge von 6 Millionen Impftoten und Ihr könnt sicher sein: Er weiß, was er sagt!
Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Das Mahnmal muss vor Holocaust-Verharmloser*innen und Antisemit*innen geschützt werden.
Der 20. Juli ist ein ganz besonderer Tag und wir gedenken auch derjenigen, die vergeblich versuchten, den Hitlerfaschismus zu stürzen und das sinnlose Sterben zu beenden, indem sie ein Attentat auf Hitler verübten.
Wir hoffen, dass viele alte und junge Berliner*innen, Antifaschist*innen aller Generationen uns unterstützen, wenn wir am 20.7.21 um 18:30 Uhr am Mahnmal der ermordeten Juden (in der Ebert- bis zur Ecke Behrenstraße) gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus und des Widerstands gedenken und sagen: Nie wieder!
Wir OMAS sind fast alle bereits zweifach geimpft und froh darüber, werden trotzdem Maske tragen und Abstand halten und bitten alle anderen Unterstützer*innen auch darum.
Hanna
Jeder Stolperstein
Jeder Stolperstein erinnert an einen Menschen.
Jeder Stolperstein erinnert an Leid, Verfolgung und Tod.
Jeder Stolperstein erinnert auch an all diejenigen Opfer, für die die Stolpersteine fehlen.
Jeder Stolperstein ist uns eine Mahnung!
(Insgesamt wurden am 4. Juni vor sieben Häusern am Bundesplatz zwanzig neue Stolpersteine verlegt. Danke an die Initiative Bundesplatz und alle, die dazu beigetragen haben, die Verlegung möglich zu machen. Fotos: Frieda)
Die Ermordeten werden nicht vergessen! – Kundgebung zum rassistischen Anschlag in Hanau am 19.Februar 2020
GESTERN AUF DEM ORANIENPLATZ IN BERLIN-KREUZBERG
Mahnwache – ein Zeichen: Oury Jalloh ist unvergessen!

Wie immer an einem Freitag Anfang des Monats fanden wir uns an der Weltzeituhr ein; den Infektionsmassnahmen geschuldet nur zu Viert, im Intervall und mit Abstand.
Die heutige Mahnwache widmeten wir Oury Jalloh.
Er floh vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone und verbrannte gefesselt in einer Polizeigewahrsamszelle in Dessau am 7. Jan. 2005.
Bis heute wurde niemand zur Verantwortung gezogen.
Die Texte zum Geschehen, die wir aufgeklebt hatten, fanden das Interesse besonders junger Leute, die noch nie etwas von Oury Jalloh gehört hatten. Uns war es wichtig, zu erinnern und fordern Aufklärung und Bestrafung derjenigen, die für Ouri Jallohs Tod verantwortlich sind.
Zum Beispiel Ursel Blumenreich …
Mit 21 Jahren kam Ursel aus ihrer Geburtsstadt Stettin zum Studium nach Berlin – wenige Monate später wurde sie in Auschwitz ermordet, am 26.2.1943.
An die kleine Ruth-Reisel Herzberg kann sich meine Nachbarin noch erinnern, die beiden Mädchen haben öfters zusammen gespielt. Bis Ruth-Reisel im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern im August 1942 nach Riga deportiert wurde. Alle drei wurden dort umgebracht. Ruth-Reisels Großväter, die beide mit der Familie zusammen gewohnt hatten, wurden erst Monate später nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert, wo auch sie sterben mussten. Kann man sich vorstellen, mit welchen Sorgen und Ängsten die beiden alten Männer an das Schicksal der jungen Familie gedacht haben, bis sie selbst abgeholt wurden?
Oder die Schwestern Frida und Margarethe Schubert, 1883 und 1894 geboren: Auf beiden Stolpersteinen steht das Datum 11.3.1943. Frida wurde an diesem Tag in Auschwitz ermordet, „Flucht in den Tod“ ist bei ihrer jüngeren Schwester vermerkt.
Beim Putzen der Stolpersteine gehen uns OMAS viele Gedanken durch den Kopf; schon die knappen Angaben auf den Steinen genügen um die Ungeheuerlichkeit zu verdeutlichen, die all diese Leben nicht zu Ende gelebt werden ließ.
Über 9000 Stolpersteine gibt es mittlerweile allein in Berlin. Möglichst viele nicht nur zum 9. November glänzend strahlen zu lassen, ist mehr als eine symbolische Geste. Es ist das Mindeste, was wir tun können, damit die Erinnerung an die Millionen Einzelschicksale weiter hell und klar bleibt, verbunden mit unserem Wunsch und Bekenntnis: „Nie wieder!“
Frieda
Mahnwache zum Gedenken an die Reichspogromnacht am Denkmal „Der leere Raum“ – Koppenplatz, Berlin
9. November 1938
In Deutschland liegen die Straßen voller Glassplitter von zerschlagenen Fenstern jüdischer Geschäfts- und Wohnhäuser.
Die boshafte Bezeichnung „Reichskristallnacht“ wurde in Umlauf gesetzt und hält sich bis heute!
Erst in den 60er Jahren bemühte man sich um eine angemessene Bezeichnung: „Pogromnacht“.
Können wir dieser Nacht und aller unvorstellbarer Grausamkeiten danach angemessen gedenken?
Mit Scham stehen wir schweigend vor den Mahnmalen.
Wir sind entsetzt über den zunehmenden Antisemitismus und die rechtsradikale Gewalt im ganzen Land.
Wir versprechen, weiterhin alles in unserer Macht Stehende zu tun, um jeder Form antisemitischer und rechtsradikaler Angriffe entgegenzutreten.“
Mit diesem Text auf unseren Schildern und auf Flyern haben wir am 9. November 2020 eine Staffel-Mahnwache abgehalten. Den ganzen Tag über standen einige von uns vor dem Denkmal, das genau dieser Erinnerung gewidmet ist: der Reichspogromnacht.
Die Reaktion der zufällig an uns vorbei Kommenden, fast alle aus der jüngeren oder mittleren Generation, hat unsere Erwartungen übertroffen, positiv übertroffen. Wir sind spontaner Zustimmung begegnet und auch Neugier. Viele wussten über den Anlass Bescheid, andere wiederum wollten sich anhand unseres Textes informieren. Unsere 300 Flyer haben wir vollständig ausgegeben. Und aus der Nachbarschaft haben uns, unabhängig voneinander, dreimal am Tag junge Leute mit Kaffee versorgt; wir seien ihre „Heldinnen des Tages“. Das tat gut, physisch gegen das Frieren, aber vor allem seelisch!
Schließlich konnten wir nach Hause gehen mit einem Gefühl der Erleichterung, dass es doch sehr viele gibt, die unser Anliegen teilen.
Betina Kern
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